DG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum DiskursGegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs GegenwartDG Kunstraum Diskurs Gegenwart

Künstler*innen denken Kirche neu
Videodokumentation Projektkirchen
Kirche Raum Gegenwart

Im Rahmen der Ausstellung ‚Kirche Raum Gegenwart‘ Anfang 2023 wurden in den Sommermonaten 2022 ortsspezifische Projekte für vier Kirchengemeinden von einem Gremium aus dem Vorstand der DG sowie der DFG-Forschungsgruppe Sakralraumtransformation Transara in Auftrag gegeben und von jeweils einem Duo aus Kunstschaffenden oder Architekt*innen mit Bezugspersonen der Gemeinden vor Ort entwickelt. 

Es sind sehr unterschiedliche Ansätze, die jeder auf eigene Art und Weise dazu einladen über ‚aufgeschlossene Kirchenräume‘ nachzudenken – Kirchen, die liturgische Orte bleiben und sich gleichzeitig für Neues öffnen. Dabei steht eine nachhaltige Transformation der Räume im Zentrum, die sich nicht nur über architektonische Lösungen, sondern vor allem über inhaltliche Neubeschreibungen definiert.

Die vier Projektkirchen

Empfangshalle
,Wengenkirche‘ St. Michael, Ulm

St. Michael zu den Wengen, auch Wengenkirche genannt, ist die einzige römisch-katholische Gemeindekirche in der Ulmer Altstadt. Ein erheb licher Teil der Kloster- und Kirchenanlage wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört. Der nüchtern ausgefallene Neubau wurde im 90°Grad- Winkel an den noch erhaltenen gotischen Westgiebel angebaut. Der Ausgangspunkt für das Künstlerduo ‚Empfangshalle‘ war das vorhandene Potenzial zu nutzen um den Kirchenkomplex mit Leben zu füllen und die Wahrnehmbarkeit des Kirchenbaus im Stadtraum zu erhöhen. Die Wengenkirche schließt an ein neu gebautes, hochpreisiges Areal an und liegt zentral zwischen Hauptbahnhof und Fußgängerzone. Soziale Einrichtungen oder Kindertageseinrichtungen wurden nicht eingeplant, diese werden aber unter anderem von der Kirche angeboten. Der Schwesternkonvent bietet einen Imbiss für Bedürftige an. Der Platz vor der Kirche ist ein Treffpunkt für Menschen, die an anderen Stellen der Stadt unerwünscht sind. Immer wieder sind dort auch Gruppen von Jugendlichen anzutreffen. Die ‚Empfangshalle‘ entwickelte ein Konzept, bei der die Kirche zu einer besonderen Art von zunächst körperlicher, aber auf einer weiteren Ebene geistiger und sozialer Fitness lädt: beim Lauftraining am Laufband können Pilgerrouten bereist werden. Per Videobildschirm ‚bewegt‘ man sich auf Pilgerwegen weltweit. Die Fitnessgeräte erzeugen dadurch Strom, der auf unterschiedlichen
‚Laufkonten‘ angespart und für soziale Zwecke eingesetzt wird. Das Pilgern im Fitnessstudio der Wengenkirche wird über eine LED-Anzeige auf dem Kirchturm ablesbar. Der Kirchturm wird so zur Leuchtskulptur. Um den Gemeindesaal unterhalb des Kirchenraums zu beleben wäre ein direkter Zugang von der Wengengasse von Vorteil. Das Künstlerduo schlägt vor, den Anbau der 1990er Jahre mit den Oberlichtern zu entfernen und die Räume über Sitzstufen und Treppen zur Straße hin zu öffnen. Der Gemeindesaal soll niederschwellige Angebote unterbreiten in Form von sportlichen Aktivitäten (z. B. in einem Boxring), die auch für die Sozialarbeit mit Jugendlichen attraktiv sind.

Jutta Görlich und Peter Haimerl
Lätare Kirche, München-Neuperlach

Die evangelische Lätare-Gemeinde wurde im Zuge des Baus der Satellitenstadt Neuperlach in den 1970er Jahren gegründet. In seinen Anfängen war Neuperlach durch den Zuzug vieler junger Familien geprägt. Heute sind 60% der Menschen ohne Religionszugehörigkeit, nur knapp 7 % sind evangelisch, die Hälfte der Gemeinde ist über 60 Jahre alt. Der demografische Wandel sowie die Krise der Kirchen setzen der Gemeinde zu. Jutta Görlich führte im Sommer 2022 mit Mitar- beiterinnen der Kirche Interviews, die zeigten, wie widerständig, leidenschaftlich und hoffnungs- voll diese sind. Neben der seelsorgerischen Arbeit stemmen sie ein kleines, aber attraktives Angebot: Gottesdienste, Kirchenkaffee und Outdoorkino, Konzerte, Lesungen, Tanz, Altenkreis, Grillabende, Posaunenchor und Gesang. Leider wissen noch zu wenige Neuperlacherinnen davon. Die Architektur des Ensembles wirkt zurückhaltend: Dunkel duckt sich das Pfarrzentrum in die höhere umgebende Wohnbebauung. Da ein Kirchturm von jeher fehlt, ist die Gemeinde im öffentlichen Raum kaum sichtbar. Jutta Görlich und Peter Haimerl treten dem Verlust der ästhetischen Ausdruckskraft des im Stil der 1970er-Jahre Funktionalismus gestalteten Neuperlacher Areal entgegen und stellen den drei Backsteinkuben des Kirchengeländes einen zeitgenössischen Kirchturm bei. An der etwa
25 Meter hohen, mit farbigen LEDs in Orange und Hellblau beleuchteten fragilen Stahlkonstruktion werben christliche Symbole für die kirchlichen Angebote. Diese Motive werden ergänzt durch Zeichen für rein weltliche Inhalte wie Kino, Musik und Kaffee. Im mittleren Bereich wirbt eine großformatige Leuchtschrift mit dem Schriftzug ‚Welcome to Fabulous Laetare Neuperlach‘. Seinen Abschluss findet der Turm in einem großen leuchtenden Stern, der – von Weitem sichtbar – auf das Kirchenareal verweist und von weiteren Symbolen flankiert wird: dem Zeichen für Unendlichkeit, ineinander verschlungenen Ehe-Ringen, einem Notenschlüssel, einem Fragezeichen und das @-Zeichen. Der neue Kirchturm macht auf humorvolle und populäre Weise die bisher im Verborgenen wirkende Gemeinde im Stadtraum Neuperlachs sichtbar. Er ist identitätsstiftend und spiegelt das reiche Angebot, aber auch das Selbstverständnis der Gemeinde als weltoffene, aktive und an Diversität begeisterte Gemeinschaft.

Ludwig Hanisch und Karina Kueffner
St. Wendelin, Langenprozelten am Main

Die katholische Pfarrkirche St. Wendelin wurde 1928 gebaut und ist seitdem Wahrzeichen und Mittelpunkt von Langenprozelten. Über die Jahre wurde das ursprüngliche Gestaltungskonzept des Raumes verändert und überlagert: der Bereich unter der großen Empore erscheint zu dunkel, der Raum mit den leeren Kirchenbänken zu groß. Es existiert ein diffuses Gefühl der Heimatlosigkeit in der Gemeinde, begründet durch einen fehlenden festen Pfarrer vor Ort, sowie eines nicht (mehr) aktiven Kirchenlebens mit einer generationenübergreifenden Gemeinschaft. Das Künstlerduo erarbeitete zwei Ansätze für eine Neuausrichtung von St. Wendelin: Der Blick richtet sich einmal auf mögliche (innen-)architektonische Veränderungen sowie auf einen Vorschlag für eine veränderte Außenwahrnehmung. Zwei Modelle der Kirche (Maßstab 1:100) vermitteln hierzu eine Vorstellung: Im Modell 1 sind die Bänke unter der Empore herausnehmbar. Mit dem künstlerischen Eingriff ‚Colour Stripes‘ wird eine Abtrennung installiert, die den hinteren Raum in zwei neue Bereiche aufteilt. Modell 2 geht einen Schritt weiter und zeigt einen einheitlichen weißen Anstrich des Innenraums; zudem sind einige kirchliche Gegenstände zu gunsten eines klaren Erscheinungsbildes herausgenommen worden. Der Raum erhält eine mobile Bestuhlung. St. Wendelin beherbergt eine nicht verifizierte Zahl an Engelsfiguren und ‑köpfen an den großen Haupt- und Seitenaltären, welche laut der Gemeinde immer wieder während des Kirchenbesuchs gezählt werden. Unter dem Titel #43Engel kann um St. Wendelin eine Art Stadt-Image aufgebaut werden, das der Kirche und Langenprozelten aus seiner un- gewollten Isoliertheit heraushilft. In Form eines Kulturangebotes können passende Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Themenpredigten angedacht werden. Unter #43Engel ist ebenso ein virtueller Fingerabdruck im Internet und in den sozialen Medien denkbar, der das Konzept der Offenheit, Transformation und Kommunikation verbreitet. Gestalterisch würde ein farbiger Neonlichtschriftzug im Eingangsbereich der Kirche auf die 43 Engel hinweisen.

Ursula und Tom Kristen
‚Leutekirch‘ St. Martin, Leutkirch

Seit 2015 beschäftigt sich die katholische Kirchengemeinde von Leutkirch im Rahmen des von der Diözese Rottenburg-Stuttgart angeregten Prozesses ‚Kirche am Ort – Kirche an vielen Orten‘ mit der Frage, wie ihre Kirche zukünftig gestaltet werden soll. Geistliche Erneuerung, pastorale Ausrichtung und Profilierung sowie deren Umsetzung vor Ort waren und sind dabei die Schwer- punkte einer intensiven, ganzheitlichen Auseinandersetzung. Im Juni 2022 fand unter dem Titel ‚Gedanken-Sprung‘ eine Ideenwerkstatt mit Ursula und Tom Kristen sowie Vertreter*innen der Gemeinde statt. Anhand vorbereiteter Fragen galt es, den Blick zu schärfen, eigene Empfindungen zu ordnen und das ‚Bauchgefühl‘ in Worte zu fassen. Auf Basis der gemeinsam erarbeiteten Grundlage erstellten Ursula und Tom Kristen mögliche zukünftige Veränderungen in Form von virtuellen Bildern. Dabei wurden folgende Fragen berücksichtigt: Wie kann es gelingen, dem vorhandenen Ort seine Wertigkeit zurückzugeben? Wie viel Veränderung verträgt der Raum, wie viel Veränderung benötigt der Raum, damit das zentrale Erlebnis des Gottesdienstes wieder seinen Rahmen findet? Der Prozess zeigte auf, dass das von einigen Mitgliedern der Gemeinde gefühlte ‚Verlorensein‘ nicht am Kirchenraum selbst liegt, sondern am Sichtbarwerden der Leere durch die vielen freien Plätze in den Kirchenbänken und der gefühlten Distanz zu den liturgischen Orten. Deshalb erscheint das Ersetzen des historischen Gestühls durch eine flexibel einsetzbare Möblierung als zentrales Element einer Neuordnung. Der erstellte 3D-Raumplan zeigt, wie es möglich ist, die Gemeinde auf Augenhöhe vor oder um den Altar zu versammeln. Dem Wunsch nach einem kleinräumlicheren Zusatzangebot (Andachtsraum) kann nachgekommen werden, indem der Chorbereich bei Bedarf abgetrennt wird. Voraussetzung hierfür wäre ein weiterer Zugang. Eine Bereicherung der Kirchenraumnutzung durch Ausstellungen oder Konzerte wäre darüber hinaus ebenfalls denkbar. Die erarbeiteten analytischen Skizzen und animierten ‚Möglichkeitsräume‘ sollen eine Orientierungshilfe für die Kirchengemeinde sein, um ihre Wünsche und das Potenzial des Kirchenraums mit Laiengremien und Fachstellen fundiert zu diskutieren und Perspektiven zu formulieren.

Videos: Edward Beierle